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Flohalt
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Letzter Seufzer bei gehobener Stimmung

Durch die Auflösung des Kabaretts "Floh de Cologne" ist ein Stück Gegenwartskultur verschwunden

Von unserem Redaktionsmitglied Michael Frank

 Köln,17. Mai 1983

Die Suche nach einem traurigen Menschen endet beinahe ergebnislos. Zwar redet einer der Barden, die zum großen Abschiednehmen in der Kölner Sporthalle zusammengekommen sind, von einem "traurigen Ereignis" und unterlegt zur Stützung dieser These seine ohnehin elegischen Lieder mit etwas weinerlichem Tremolo. Die RequiemStimmung verpufft aber gleich wieder in Tönen von Kampfgeist und fröhlicher Anarchie. Da! Spät in der Nacht doch noch ein trauriger Mensch. Beim feuchtfröhlichen Ausklang dieses "Sterbetages" in einem Altstadtwirtshaus, das auf den so urkölschen Namen "Löwenbräu" hört, nippt der Kabarettist Dietrich Kittner versonnen am Bierglas und sagt unverhofft mit etwas feuchtem Schimmer hinter den dicken Brillengläsern: "Als ich das gehört habe, daß der Floh de Cologne aufhört, da war ich richtig entsetzt"

Floh de Cologne gibt es nicht mehr. Ein Stück Gegenwartskultur hat sich nach 17 Jahren selbst ein Ende bereitet. Hervorgegangen aus der schlichten Lust am Spott und am Theater waren ãdie Flöhe" über die Jahre das profundeste Musikkabarett und lange Zeit die einzige satirisch-politische Rockband der Bundesrepublik, ja des deutschsprachigen Raumes. Gotteslästerungs-prozesse haben die fünf auf ihre Häupter gezogen, Anklagen wegen öffentlicher Aufforderung zur Unzucht und durchwegs erfolglose Beleidigungsklagen von bekannteren Leuten, deren Haltungen und Handlungsweisen sie gar zu ungeschminkt dargestellt hatten.

Ihr vehementer, manchmal auch verbissener Kampf für die Malocher und kleinen Leute, für deren Selbstbehauptung und deren Recht auf etwas Lust am Leben, führte die Flöhe vom Nummernkabarett zu multimedialen Politopern mit Spaß an Spektakel und prasselndem Sound. Für Studenten und Schüler, für Lehrlinge, halbwüchsige Arbeitslose und junge Gewerkschaftler sowie für einen kleinen, aber eingefleischten Kennerkreis wurde die Kölner Gruppe das Marken­zeichen einer neuen Art politischer Satire und proletarischer Agitation: Neben all dem intellektuelIen Gequatsche, Gereime und Gesinge konnte die Flöhe einfach jeder verstehen. Und lustig war es auch noch.

Als Wegbereiter solcher Tugenden wurden sie jedoch von Epigonen und Nachfolgern erreicht und überholt. Bevor sie, wie sie befürchten, "knöcheltief im kommerziellen Scheiß" landen, haben sie jetzt aufgehört, gehen sie ihrer Wege. Schlagzeuger und Haupttexter Hansi Frank war immerhin die ganzen 17 Jahre dabei, so wie Dieter Klemm, der die ganze Floh-Epoche hindurch der Organisator des Unternehmens sowie der Interpret der schwierigeren Texte war. Vridolin Enxing ist mit "nur" neun Jahren Gruppenmitgliedschaft (an den Keyboards und als Arrangeur) der Benjamin gewesen. Dick Städtler, der seit 1969 mitgemacht hat, übernahm als Gitarrist und Sänger bald eine Hauptrolle und schmiedete die meisten Kompositionen. Der Multi-Musiker Theo König ist in der Runde ein ebenso altes Schlachtroß.

Der erste Streit

Dietrich Kittner wittert Verrat: Allein, daß die Flöhe auseinandergehen, interpretiert er als "Resignation in der Vereinzelung", als das Ende des guten Willens, das einfache Volk unverdrossen gegen die Nachstellungen des Kapitalismus zu verteidigen. Nun steht Kittner kurz vor seinem eigenen 25. "Jubiläum" als ein brillanter linksradikaler Spötter und ein reichlich dröhnender politischer Verseschmied. Der stramme DKP-Parteigänger schart denn auch während des denkwürdigen Umtrunks Wackere um sich, die den Flöhen ein letztes Ständchen bringen sollen, ein Lied aus deren eigener Frühzeit, das viel vom Weitermachen und von Solidarität handelt und von jener spröden Sorte ist, daß man es nur mit viereckigem Munde singen kann. Groteskerweise scheitert die Aktion an mangelnden Textkenntnissen. Die Flöhe will man nicht fragen, da es doch eine Überraschung sein soll, und der Urheber des Textes, Gerd Wollschon, stellt sich auf eine so tranige Weise vergeßlich, daß man nichts außer dem trotzigen Refrain aus ihm herausbringt.

Gerd Wollschon läßt die Bittsteller im unklaren, ob vielleicht ein "Kölsch" zuviel das Gedächtnis geschwächt hat oder der Wunsch, solch allzu glatte Politlyrik als das eigene Werk zu verleugnen. Wollschon war immerhin der eigentliche Initiator des Floh de Cologne, damals, 1965 und 1966, im Theaterwissenschaftlichen Institut der Universität Köln. (Die erste handfeste Streiterei gab es in der Truppe übrigens darüber: Sollte man den Floh im Namen mit oh oder mit eau schreiben, um ja die Anspielung auf das bekannte Duftwasser so deutlich wie möglich zu machen?) Vor knapp acht Jahren ist Wollschon ausgestiegen. Ein Bündel von Gründen habe es gegeben, sagt er. Auch den, daß er "gegen die zu dichte Anlehnung an eine bestimmte Partei" gewesen sei.

Kittner und Hannes Wader, letzterer der wahre Säulenheilige der deutschen Liedermacherei und beide unerschütterliche Trommler für die DKP, hätten gerne heute noch die alten Flöhe als Kombattanten dieses dogmatischen Restes der westdeutschen Kommunisten. Die Truppe hat ja auch oft genug gezeigt, wo sie politisch steht, und der Streit unter den Fans ging immer schon darüber, ob das markig Proletarische nun verdammungswürdiger Dogmatismus sei oder begrüßenswerte Konsequenz. In der langen Abschiedsnacht beim Bier jedenfalls artet das wieder in absurde Zänkerei aus, deren Mittelpunkt diesmal Hannes Wader ist und die davon handelte, was wohl der rechte Arbeiterbegriff und dessen weltgeschichtliche Bedeutung sei - eine Satire für sich.

Die Selbstgerechtigkeit, die solchen ledernen Disputen innewohnt, hat unmittelbar mit dem Ende der Flöhe zu tun. Der Ausgangspunkt der von hoher Komik und bitterem Ernst gesegneten Debatte war die Frage, wie es denn um die Selbstironie, das Sich-selbst-in-Frage-Stellen der künstlerischen Künder des gesellschaftlichen Fortschritts bestellt sei. Gestellt hatte sie ein Mitglied der "Drei Tornados", einer Gruppe von Berliner Politclowns, wahren Meistern der satirischen Klamotte: Sie lebten doch davon, daß sie sich im Grunde immer selbst auf die Schippe nähmen, sagte der für die Dogmatiker lästige Frager und traf damit direkt den Kern dessen, was die Flöhe im Augenblick der Resignation zahlreichen ihrer Kollegen voraus haben: das Fehlen jeder Selbstgerechtigkeit, einer Selbstgerechtigkeit, die so viele veranlaßt, in der Überzeugung von Wert und Richtigkeit ihrer Thesen mit Programmen von dürftigem Neuigkeitsgehalt und kargem Unterhaltungswert bis in alle Ewigkeit weiterzuwursteln.

Bezeichnenderweise hat niemand von den Dutzenden, die singend, klampfend und rezitierend vor einer 6000köpfigen fröhlichen Trauergemeinde dem Floh de Cologne einen achtstündigen angemessenen Abgang verschafften, die Flöhe öffentlich aufgefordert, nun doch weiterzumachen. Nur Franz Josef Degenhardt, der sich wegen wichtiger politischer Geschäfte auswärts nur im Film zeigen konnte, stellte ehrlich bedrückt fest, er habe die Flöhe nicht dazu überreden können. Schwerer Krankheit wegen erschien auch Hanns Dieter Hüsch nur im Lichtbild. An einem Tag, wo alle sonst tränenreich Einigkeit demonstrieren würden, sprach er fröhlich von Dissonanzen, "doch im Zeichen der internationalen Solidarität - sie lebe hoch! - haben wir uns immer wieder zusammengerauft".

Selbstironie? Diese Weisheit am rechtzeitigen Ende einer Kulturinstitution scheint Zeichen zu setzen: Denn entgegen dem Geschmetter des dogmatischen Flügels hat sich bei dem großen linken Leichenschmaus für Hirn, Ohr und Gau-men jetzt in Köln nicht eine neue eiserne "Front" gefügt angesichts des Rechtsrucks im Lande. Es schien eher, als ordne sich locker eine sinnlicher gewordene Linke neu zum Kampf mit den leichteren Waffen Spott und Ironie sowie der Lust daran, miteinander anständig und freundlich umzugehen. Ein Fan, der extra aus Herne hergefahren ist, sagt: "Die Flöhe haben uns immer gepredigt, daß wir Malocher es uns warm und so gut wie möglich einrichten sollen. Dabei waren die immer so hart zu sich selbst. Ich gönn' denen erst mal einen laschen Arsch, für'n Jahr oder so". Man kann darüber grübeln, ob ihm der Floh de Cologne fehlen wird.

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SZ  7.April 1983 von
SZ  17. Mai 1983
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